Der Buchhändler Sven Puchelt, der eine Zeitlang geschätztes Mitglied unserer AG Bücher für Vorleser war und gegenwärtig aus Zeitgründen pausiert, hat auf seiner Homepage „Einige Gedanken zum Bilderbuch“ eingestellt, die wir mit seinem Einverständnis hier gerne teilen. Sie zeigen, warum das Vorlesen von Bilderbüchern so wichtig ist und helfen dabei, die richtigen Bilderbücher für unsere Kinder zu finden.
Bilderbücher sind Kommunikationspartner
Bilderbücher werden in Bibliotheken oft als „Medien“ bezeichnet, aber eigentlich sind sie viel mehr als das: Indem sie von der Wirklichkeit und von Phantasiewelten erzählen, dem Kind bekannte Lebenssituationen spiegeln und es sicher bis zum Ende einer spannenden, aufregenden, nachdenklich, glücklich oder auch traurig machenden Situation geleiten, sind sie Kommunikationspartner für Kinder. Sie geben Antworten auf die vielen Fragen, die unsere Kinder beschäftigen.
Die Stärken eines Bilderbuchs
Besonders stark sind Bilderbücher deshalb, weil Kinder sie in ihrem eigenen Tempo entdecken können. Das setzt aufmerksame Vorleserinnen und Vorleser voraus, die merken, wann ein Kind bei einem bestimmten Bild innehalten möchte, und die gerne auch noch mal ein paar Seiten zurückblättern. Das gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern trägt dazu bei, gemeinsam in einen Dialog zu finden. Kinder und Vorleser können sich über die Bilder austauschen, sich gemeinsam fragen, wie es weitergehen könnte, zusammen darüber lachen, wenn sich Text und Bild widersprechen und es so zu humorvollen Szenen im Buch kommt.
Welches Bilderbuch für welches Alter?
Eindeutige Altersangaben für Bilderbücher zu machen, ist nur schwer möglich. Jedes Kind entwickelt sich anders. So sind die vom Verlag oder in Bilderbuchbesprechungen gemachten Altersangaben als grobe Richtlinie zu verstehen. Wieviel Witz, Spannung oder gar Grusel ein Kind in welchem Alter am besten verstehen und wie gut es sich auf längere Texte konzentrieren kann, können die dem Kind vertrauten Menschen am besten einschätzen, weil sie es am besten kennen.
Eine grobe Einteilung der kindlichen Entwicklungsstufen kann dabei helfen, das passende Buch zu finden.
Das 1-2-jährige Kind
- liest Bilder, nicht Texte
- lässt sich zum Nachahmen aktivieren
- benennt Dinge die es sieht
- beginnt mit ersten Sprachspielen
Das 3-4-jährige Kind
- entwickelt Ich-Identität
- identifiziert sich mit Personen und Tieren in Geschichten
- verlangt nach Sachinformationen
- macht Dinge nach und führt sie auch weiter
Das 5-6-jährige Kind
- unterscheidet Fantasie und Wirklichkeit in Geschichten
- nimmt Hintergründiges wahr
- entdeckt und entwickelt eigene Fertigkeiten
- kann Ironiesignale deuten und entwickelt zunehmend einen eigenen Humor
Wann ist ein Bilderbuch ein gutes Bilderbuch?
Die im Folgenden genannten Gesichtspunkte werden nicht in einer Wertigkeitsreihenfolge genannt, sondern wollen nur Anstöße zur Bewertung von Bilderbüchern geben:
Passen Bilder und Bildunterschriften zusammen? Text und Bild sollten entweder übereinstimmen oder aber so bewusst voneinander abweichen, dass ein gewollter Effekt erzielt wird (Humor, Ironie, …)
Wie ist der Unterhaltungswert des Bilderbuchs? Möchte man es bis zum Ende lesen und hat man Lust, die Geschichte gleich ein zweites Mal zu lesen?
Ein klarer Ablauf der dargestellten Geschichte erleichtert das Verständnis. Bilderbucherfahrene Kinder finden es aber auch spannend, wenn der Ablauf unklar ist und sie stärker gefordert sind mitzudenken.
Je eindeutiger die Charaktere der Hauptfiguren sind, desto einfacher ist für den Betrachter die Identifikation
Illustration und Text sind wichtig. Beim Text hat der Vorleser jedoch die Möglichkeit zumindest die Wortwahl dem Verständnis des Kindes anzupassen.
Wird der kindliche Alltag im Buch berücksichtigt und handelt es von Themen, die das Kind unmittelbar betreffen, dann kann das Lesen und Betrachten dazu beitragen, das Selbstbewusstsein und die Selbstständigkeit des Kindes zu fördern. Über die Bilderbuchfiguren werden mögliche Lösungen für Probleme durchgespielt, die dem Kind in seinem Leben weiterhelfen können.
Bilderbücher können für Probleme sowohl aus der unmittelbaren Umgebung des Kindes (z.B. Geschwister, Tod, Scheidung…) wie auch in größeren Zusammenhängen (z.B. Umweltprobleme, Krieg…) sensibilisieren und regen dau an, Fragen zu stellen.
Beim Vorlesen fördert man immer auch die Sprachentwicklung des Kindes.
Natürlich kann kaum ein Bilderbuch sämtlichen dieser Ansprüche gerecht werden, zumal je nach Entwicklungsstufe des Kindes unterschiedliche Kriterien wichtig sind.
Das gute Bilderbuch gibt es nicht, wohl aber viele gute Bilderbücher.
(SP & MB)