Babak Saberi (Text)
und Mehrdad Zaeri (Illustration):
Ein großer Freund
Aus dem Persischen von Nazli Hodaie
Baobab Books 2015
Freunde und Freundinnen zu gewinnen gehört zu den kindlichen Entwicklungsaufgaben. Sobald das Kind sich aus dem Inneren der Familie hinausbegibt, möchte es sich auch im Außen aufgehoben fühlen. Dazu sind Freunde wichtig. Wie wunderbar, wenn es gelungen ist, einen Freund zu finden. Und so beginnt auch unsere Bilderbuchgeschichte »Ein großer Freund«.
»Mama, endlich« ruft das kleine Rabenmädchen glücklich, als es eines Tages nach Hause geflogen kommt. »Mama, endlich habe ich einen Freund gefunden! Sieh, er steht vor unserem Nest.«
Gehen wir in Gedanken einen Moment lang in diese Zeit der ersten Freundschaften zurück. Erinnern wir uns an den ersten Freund, die erste Freundin? War diese Freundschaft unseren Eltern recht oder gab es Vorbehalte? Bilderbücher, die von solch elementaren Erfahrungen er- zählen, sprechen erwachsene wie kindliche Leser an, sie erzeugen Resonanz. Aber schauen wir uns an, wovon unsere Geschichte – in Sprache und Bild – weiter erzählt. Blicken wir dabei zunächst einmal nur auf den Text des Autors Babak Saberi: Der neue Freund ist der Mutter nicht recht. Er ist zu groß findet sie, weil sie feststellen muss: »Das ist ja ein Elefant!« Der kleine Rabe allerdings lässt sich nicht einschüchtern. Und seine Einwände gegen die Vorbehalte der Mutter spiegeln wunderbar die Einfachheit kindlichen Denkens:
Der kleine Rabe war erstaunt: »Mama, wer sagt denn, wir seien nicht gleich groß? Schau, wenn ich etwas tiefer fliege und er etwas in die Höhe springt, dann sind wir genau gleich groß.«
Auch wenn Rabe und Elefant sich ausruhen, hinlegen, ein wenig dösen, sind sie, so argumentiert scharfsinnig das Rabenmädchen, etwa gleich groß. Allerdings ist die Mutter so noch nicht zu besänftigen. Sie warnt ihre Tochter, nicht mit dem Großen herumzutollen und nicht mit ihm in den Fluss hineinzulaufen. Ganz schlicht – so kindlich wie erwachsen antwortet die Tochter:
»Nein Mama, so was mache ich nicht. Ich bin doch kein Elefant.« Die Mutter hat immer noch Bedenken und in der letzten Episode dieser Auseinandersetzung kommt sie auf einen Einwand, der dem Leser zunächst einleuchten muss: »Sag mal, kannst du überhaupt Elefantisch? … Wie sprichst du denn mit ihm?«
Aber auch damit ist das Rabenmädchen nicht zu verunsichern. Mit Zeichen und Blicken verständigen wir uns, antwortet es: »Wir werden uns die schönsten Geschichten erzählen.«
Zur einfachen und klaren Sprache, die vom Handlungsverlauf erzählt, kommen die in dunklen, aber warmen Farben gehaltenen Zeichnungen Mehrdad Zaeris mit ihrer eigenen Erzählkraft und der Erzählung des inneren Geschehens hinzu. Beeindruckend, wie ausdrucksstark der Schnabel eines Raben daherkommen kann, mal freudig einladend, mal fragend-ablehnend blickend. Zwei Jahre hat Mehrdad Zaeri an diesem Buch gearbeitet und seine Bildsprache, wie er in einem Interview erzählt, »immer weiter reduziert und einfacher gemacht«. Liebevoll selbstbewusst blickt das Rabenmädchen im letzten Bild. Seine Mutter hat ihm ganz am Ende der Geschichte den Ratschlag erteilt: »Komm nicht auf die Idee, ihm zu zeigen, wie er von der Mauer springen kann.« Und so liebevoll selbstbewusst wie der Blick ist auch die Antwort: »Mama, mach dir keine Sorgen, natürlich mache ich das nicht. Er ist ein Elefant, ein einfacher Elefant. Kein fliegender Elefant.«
Dass Freundschaften unter manchmal sehr unterschiedlichen Kindern den Erwachsenen nicht immer genehm sind, ist kindliche Alltagserfahrung. »Auch meine Mutter hat mich früher stets ermahnt, mit gleich Großen zu spielen«, erinnert sich Babak Saberi, der iranische Autor der Geschichte. »Aber Größe hat so viele unterschiedliche Bedeutungen. Ich glaube, es ist etwas vom Wichtigsten, dass wir in einer Freundschaft aneinander wachsen können.«
Zu diesem Wachsen trägt auch das Bilderbuch »Ein großer Freund« bei. Wer Kindern diese Geschichte vorliest und mit ihnen die Bilder betrachtet, der unterstreicht die Bedeutung vorbehaltloser Freundschaft. Mit der Geschichte nimmt er die Kinder Huckepack, indem er ihnen Bilder und Vorbilder für Offenheit, Toleranz und soziale Phantasie bietet.
Für die Jury:
Prof. Dr. Jochen Hering
(Juryvorsitzender 2015/2016)