
Empfehlungsliste 2018
Das Jahr 2018 war zweifelsohne ein besonderes Bilderbuchjahr! Da hätten wir den HUCKEPACK-Bilderbuchpreis gerne mehrfach vergeben. Es gab eine wunderbare Bandbreite von humorvollen bis hin zu sehr bewegenden, ernsten Titeln. Sie alle sind unglaublich stark und tragen durch ihre erzählerische Kraft dazu bei, auch die Kinder zu stärken, denen sie vorgelesen werden.
Walter kriegt Besuch
Paula Metcalf malt diese zu Herzen gehende Freundschaftsgeschichte mit flächigen, fast grob wirkenden Bildern in leuchtenden, warmen Farben und einem ausgeprägten Sinn für Situationskomik, so dass beim Vorlesen kein Auge trocken bleibt. Die Situation lässt sich dabei ohne Weiteres auf eine Eltern-Kind-Beziehung übertragen. Das Buch plädiert für mehr Langmut und zeigt, wie man auch in kleinen Alltagskatastrophen stets das Gute sehen kann. Hund und Eichhörnchen sind dabei trotz aller Unterschiede stets auf Augenhöhe – ganz der HUCKEPACK-Gedanke. Wunderbar!

Paula Metcalf:
Walter kriegt Besuch
Aus dem Englischen
von Maike Blatzheim.
Bamberg: Magellan, 2017
Otto war nicht begeistert
Aus der vertrauten Umgebung gerissen, mit nur einem Ball als Verbindung an Zuhause, ist Ottos Haltung von Abwehr geprägt. Hinter seinem mürrischem Gesichtsausdruck stecken jedoch Heimweh, Unsicherheit und Einsamkeit, und erst, als er sich den Fuß verletzt und damit ohne eigenes Zutun plötzlich im Mittelpunkt steht, hellt sich seine Miene auf. Als er wenig später endlich mitspielt und dabei zum Torschützenkönig gewählt wird, ist er sogar kurzzeitig begeistert!
In gedeckten Farben, die an ein altes Fotoalbum erinnern, skizziert Jacky Gleich hier mit pointierter Bildkomik Jutta Bauers Geschichte eines Kindes, dem Freundschaften nicht zufliegen, und dem es an Selbstbewusstsein fehlt, um sich aktiv um Freunde zu bemühen. Das Buch hält solchen Kindern einen Spiegel vor, zeigt ihnen, inwieweit sie sich in ihrem Alleinsein einnisten und wie sie sich daraus befreien können. Gleichzeitig richtet sich das Buch aber auch an die Erwachsenen, die ein verschlossenes Gesicht vorschnell als verstockt deuten und dabei doch versuchen sollten, hinter die Kulisse zu schauen.
Am Ende ist Otto wieder zu Hause und von anderen Dingen dort nicht begeistert – doch der Schluss stimmt optimistisch: Es gibt einen Weg aus jeder unliebsamen Situation. Ein hinreißendes Schlechte- Laune-Buch, das Verständnis für maulige Kinder schafft.

Jutta Richter (Text)
& Jacky Gleich (Illustration):
Otto war nicht begeistert
München: Hanser, 2017
Anton auf dem Baum
»Anton auf dem Baum« zeigt Ablehnung und Gemeinheit ganz unverblümt. Gleichzeitig aber überzeugt es durch Anton als großes Vorbild: Er lässt sich nicht unterkriegen. Unverdrossen fragt er weiter, und als er an den EINEN gerät, der gerade eine Schaukel baut, da passt es! Sie bauen gemeinsam und finden es gar nicht schlimm, dass plötzlich all die anderen kommen und mitmachen wollen. Dürfen sie – Platz ist genug. Nur, wer genau hinguckt, der bemerkt, dass die Schaukel plötzlich leer ist. Anton und sein Freund spielen längst etwas anderes – und merken, wie ihre Freundschaft wächst.
Der Wunsch, dazuzugehören, ist allen Kindern bekannt. Michael Wrede zeigt mit wenigen Worten und einfacher Sprache, dass dies manchmal schwierig sein kann, ermutigt aber gleichzeitig dazu, niemals aufzugeben. Ein ungemein starkes Bilderbuch, das Empathie fördert und Mut macht.

Michael Wrede:
Anton auf dem Baum
München: minedition, 2017
Von der Kostbarkeit des Wassers
Zahina mit dem überdimensional großen Kopf und riesigen Kulleraugen beherrscht die Bilder und erreicht so Empathie beim Betrachter. Schon seit sie laufen gelernt hat, geht sie mit dem Vater Wasser holen – als älteste Tochter hinter den jüngeren Geschwistern. Sie spricht fast nie und fühlt sich schuldig, weil sie beim Gehen nach rechts und links schaut und dabei ein paar Tropfen des kostbaren Wassers verschüttet. Eines Tages bricht sie auf dem steinigen Weg zusammen, der Wasserkrug zerschellt. Als der Vater sie zärtlich in den Arm nimmt, kann sie endlich von ihren Schuldgefühlen erzählen und Trost erfahren. Schon lange hat sich der Vater über die schönen Blumen auf dem Weg zum Wasser gewundert, die durch Zahinas vermeintliche Unachtsamkeit erblühen konnten. Die unerwartete Reaktion des Vaters, der nicht straft, sondern ermutig, zeugt von Liebe und Vertrauen und steht so für den HUCKEPACK-Gedanken.

Anne Jonas (Text)
& Marie Desbons (Illustration):
Von der Kostbarkeit des Wassers
Aus dem Französischen von Julie Cazier.
Köln: Tintentrinker, 2017
Alfonso, das macht man nicht!
Daisy Hirst malt beide Figuren mit wenigen Strichen und in kräftigen Farben als rote und blaue Phantasiewesen mit großen runden Augen und einfachen Strichen für den Mund. Durch kleine Veränderungen gelingt es ihr, die Gefühle und Stimmungen der beiden Geschwister klar wiederzugeben.
Ein wunderbares Geschwisterbuch schon für jüngere Kinder, das dazu einlädt, über Konflikte, Streiten und Verzeihen zu sprechen. Vorbildlich auch deshalb, weil es den Geschwistern gelingt, ihren Streit zu beenden, ohne dass sie ihre Eltern zu Hilfe holen müssen.

Daisy Hirst:
Alfonso, das macht man nicht!
Aus dem Englischen
von Sophie Birkenstädt.
Stuttgart: Aladin, 2017
Wut!
Einfühlsam beschreibt Susana Gomez-Redondo, wie sich Kinder während eines Wutanfalles fühlen und wie hilfreich die Beziehung und Bindung bei dem Weg aus der Wut heraus sein kann. Von beson- derer Bedeutung ist dabei die Gelassenheit der Eltern, die dem Kind die notwendige Zeit und Ruhe geben, die Wut verfliegen zu lassen.
Ein wunderschönes und hilfreiches Buch besonders für diejenigen Eltern, deren Kinder sich in der Trotzphase befinden. Es kann helfen, gestärkt aus dieser Entwicklungsphase hervorzugehen. Es zeigt Erwachsenen in unaufgeregter Weise einen möglichen Weg, der oft schwer nachvollziehbaren kindlichen Wut zu begegnen, ohne sie durch das eigene Verhalten zu verstärken. Vorbildlich!

Susana Gomez-Redondo (Text)
& Anna Aparicio Català (Illustration):
Wut!
Aus dem Spanischen
von Mona Steigerwald.
Aschaffenburg: Alibri, 2017
Meine neue Mama und ich
Die neue Mama spielt mit ihm, sie verarztet ihn, wenn er sich verletzt hat, sie liest ihm vor, aber sie macht auch das, was er nicht mag: Sie schickt ihn zum Zähneputzen oder zeigt ihm seine Grenzen, wenn er etwas zerbrochen hat. Das macht den kleinen Hund wütend, manchmal traurig – die neue Mama unterstützt ihn aber auch, indem sie ihn ermutigt, Geduld zu haben und ihm verspricht, »dass es schon gut wird«.
Das Buch zeigt, dass in einer Beziehung nicht immer alles perfekt sein muss und dass beide Seiten dazulernen und gemeinsam an sich arbeiten können: »Mama lernt, meine Mama zu sein, und ich lerne, ihr Kind zu sein.« Beide lernen eine Familie zu sein.
Renata Galindo benutzt im Buch warme Farben für ihre einfachen, ruhigen, dabei aber ausdrucksstarken Bilder, um über den Beginn einer neuen Familie und die dazugehörenden Gefühle und Ängste zu erzählen. Ein sehr berührendes Buch zu einem emotionalen und nicht leichten Thema, der Adoption.

Renata Galindo:
Meine neue Mama und ich
Aus dem Englischen
von Thomas Bodmer.
Zürich: NordSüd Verlag, 2017
Stromer
Das Bilderbuch von Sarah V. (lange in der belgischen Obdachlosenhilfe engagiert) und Claude K. Dubois erzählt in Bild und Sprache so schlicht eindrücklich, dass schon für Jüngere das Schmerzhafte dieses fremden Lebens sichtbar wird. Und in der Figur des Mädchens begegnen sie einem kleinen Moment kindlich aufrichtiger Teilnahme am anderen. »Stromer« ist eine berührende Geschichte über eine kleine Aufmerksamkeit, die Großes bewirkt.

Sarah V. & Claude K. Dubois:
Stromer
Aus dem Französischen
von Tobias Scheffel.
Frankfurt a.M.: Moritz Verlag, 2017
Haselnusstage
An den Tagen, an denen der Vater das Haselnussparfüm benutzt, mag der Junge ihn lieber. Das riecht nach Wald und Freiheit. Sein Minzparfüm hingegen erinnert ihn zu sehr an den Geruch im Schulklo. Wenn der Vater lacht, wird dem Jungen warm im Bauch. Doch in dem kraftstrotzenden Mann steckt auch ein großes Stück Gewaltätigkeit. Das macht die Mutter traurig, und dafür hasst der Junge den Vater. Zwei Porträts des Vaters, zwei Seiten einer Medaille – beides ist der Vater, in dem sich der Junge wiedererkennt, z.B. in der Art wie sie beide mit den Ohren wackeln.
Jedes der meisterhaft gezeichneten Bilder fängt ein Stück der Geschichte dieser kleinen Familie ein. Mit diesem Buch kann ein Vorleser darüber sprechen, dass Kinder ihre Eltern auch dann weiter lieben (dürfen), wenn sie schuldig geworden sind. Dem Künstler ZAÜ ist in wenigen Szenen eine sehr emotionale Bildgeschichte gelungen, voller Trauer und Sorge, Liebe und Hass. Ganz große Bilderbuchkunst mit viel therapeutischem Potential!

Emmanuel Bourdieu (Text)
& Zaü (Illustration):
Haselnusstage
Aus dem Französischen
von Maren Illinger.
München: minedition, 2017
Zwei Meter bis zum Meer
Eine wunderbare Geschichte über ein liebevolles Verhältnis zwischen Vater und Sohn und über die Macht der Phantasie, in der man aber auch untergehen kann, wenn man sie nicht zu beherrschen weiß
Das Buch hat ein DinA5 Querformat und ist rückseitig auf einem etwas größeren Pappdeckel befestigt, sodass am oberen Rand der Pappe noch genug Platz geblieben ist, um dort einen 15teiligen Zollstock (jedes Teil hat 10 cm) zu befestigen. Die LeserInnen und ihre Phantasie können also sofort loslegen.

Bruna Barros:
Zwei Meter bis zum Meer
Berlin: Edition Orient, 2017