Empfehlungsliste 2017

Laute wunderbare Lieblingsbücher! (Und die noch fehlenden Cover dazu reichen wir alsbald nach.)

Lucky

Per Kurier wird das sehnlichst gewünschte Haustier der Ich-Erzählerin dieser Geschichte geliefert, ein Faultier. Das Tier bekommt den Namen Lucky, und wir sind dabei, wie urkomisch sich die Erzählerin mit Lucky anfreundet: „Wir spielten König des Berges und ich gewann. Wir spielten Verstecken und ich gewann. (…) Wir spielten Denkmäler. Und Lucky war darin richtig gut.“
So weit, so harmonisch. Bis die gleichaltrige Mary Potts am Wochenende zu Besuch kommt und feststellt, dass Lucky weniger kann als ihr Papagei oder ihre Katze. Das mag die Erzählerin nicht auf ihrem Faultier sitzen lassen und kündigt eine Zirkusvorstellung mit Lucky und vielen verblüffenden Tricks an. Aber, die Bilder zeigen es: Lucky ist nicht wirklich begabt für die ihm zugedachte Rolle.
Dann kommt der Tag des Auftritts und natürlich geht die Vorstellung schief. Betrübt steht die Zirkusdirektorin da und wir leiden mit ihr. Das liegt u.a. auch an den mit wenigen Strichen wie hingeworfenen wunderbar einfachen und ergreifenden Zeichnungen der Mimik der Beteiligten.
Zurück zur Geschichte: Das Publikum ist gegangen, Lucky bekommt einen Keks, Es beginnt zu dämmern und Lucky liegt auf seinem Lieblingsast: „Ich sah Lucky an und er mich. (…) Ich streckte die Hand aus und stupste gegen Luckys Klaue. ‚Du bist goldrichtig‘, sagte ich“. Ein wunderbares Buch über die Akzeptanz des Nichts-Besonderes-Sein und ein Plädoyer gegen die zunehmende Leistungsorientierung in der Kindheit.

Jenny Offill & Chris Appelhans
Lucky!
Aladin Verlag 2016

An Ricos Strand wird viel gerannt

Auf den ersten Blick ist „An Ricos Strand wird viel gerannt“ ein einfaches Spaßbuch. Unzählige identisch aussehende Strandläufer flitzen am Strand um die Wette. Seinen ganz eigenen Witz erhält das kleine, quadratische Bilderbuch durch die ungewöhnlichen Perspektiven und Einstellungen, mit denen Illustrator Jan Birck diese hektische Rennerei abbildet: Der Betrachter erlebt die comicartig skizzierten Strandläufer mit dem frechen Grinsen im Schnabel nicht nur in der Seitenansicht, sondern kommt auch in den Genuss, sie direkt auf sich zulaufen zu sehen. Die Kehrseite des Ganzen wird ihnen auch nicht vorenthalten, und allein der Anblick all dieser fedrigen Hintern aus der Froschperspektive ist schon einen Lacher wert.
Der freche Witz ist vordergründig, denn was Jan Birck mit seiner pfiffigen Geschichte eigentlich vermittelt, ist der besondere Wert von Freundschaft, Respekt und Rücksichtnahme. Der im Zentrum des Geschehens stehende Rico, der das große Strandrennen zweifelsfrei gewinnen könnte, beobachtet kurz vor der Ziellinie, wie sein ärgster Konkurrent Toni stolpert und fällt. Ricos Chancen auf den Sieg steigen dadurch enorm, aber er entscheidet anders: Er bricht das Rennen ab und kehrt zu Toni zurück. Zusammen sehen sie, wie alle anderen Vögel vor ihnen durch die Ziellinie rennen. Die Botschaft kommt ohne pädagogischen Zeigefinger aus; sie steckt in den Bildern und den wenigen Worten.

Warten auf Goliath

Bär sitzt an der Bushaltestelle und erzählt allen, dass er auf seinen Freund Goliath wartet. Der Tag vergeht, der Bär schläft ein. Die Rotkehlchen, Spinnen und ein vorbeifahrender Bus können den Bären nicht beirren: Sein bester Freund lässt ihn nicht im Stich. Bär hält sogar Winterschlaf an der Wartebank. Schließlich kommt der Freund, und Bär ist weder ungeduldig, wütend, noch traurig, er freut sich einfach auf gemeinsame Unternehmungen mit seinem besten Freund.
Mit viel Ruhe und Gelassenheit wird der Bär charakterisiert. Diese Eigenschaften strömen auf die gesamte Szenerie aus. An einem einzigen Platz, der Bushaltestelle, spielt die ganze Erzählhandlung. Er kann mit einfachen Materialien nachgestaltet werden und spricht viele Sinne an.
Erneut erzählt Antje Damm nach „Der Besuch“ eine fortlaufende Geschichte hauptsächlich mit eigenwilligen Collagen und wenig Text. Der ist für Leseanfänger geeignet und lässt sich gut szenisch oder als Kartontheater darstellen. Viel direkte Rede motiviert zur Umsetzung im Lesetheater oder als Hörspiel. Vorlesen kann man ihn natürlich auch prima, denn die langsam aufgebaute Spannung lässt viel Raum für eigene Geschwindigkeit, Betonung und Interpretation.
Trotz des linearen klaren und schlichten Erzählaufbaus ist die Geschichte spannend. Erst ganz am Schluss erfahren wir, wer Goliath ist – und das ist eine solche Überraschung, dass es Kleine und Große zum Lachen bringt!

Ben und die Wale

Ben und seinen Großvater verbindet die tiefe Liebe zu Walen. Bei langen Strandspaziergängen beobachten sie die riesigen Meeressäuger, besuchen gemeinsam Museen und machen sich Notizen. Als Bens Großvater stirbt, ist plötzlich alles anders und es fällt Ben schwer, seine Trauer in Worte zu fassen. Da nimmt ihn sein Vater mit auf einen Spaziergang am Strand. Sie besuchen die Orte, an denen Ben mit Opa war, nehmen Opas Weg, setzen sich unter Opas Baum. Und endlich fängt auch Bens Papa an zu reden.
Er erzählt eine Geschichte, die er als Kind mit seinem Vater erlebt hat. Ein Walkind war geboren worden und begeisterte die Menschen an der Küste. Als die Wale weiterziehen wollten, blieb der alte Wal sterbend zurück – und mit ihm beinahe das Kalb, das so lange bei ihm im seichten Wasser hin- und herschwamm, dass es beinahe gestrandet wäre. „Vielleicht fiel ihm der Abschied schwer. Vielleicht empfinden Wale wie wir“, vermutet Bens Vater. Mit diesem Vergleich schafft er ein klares Bild für seinen Sohn. Es gab eine innige Verbindung zwischen dem kleinen und dem alten Wal, so wie es sie zwischen Ben und seinem Opa gegeben hat. Und so, wie der kleine Wal seinen Weg ins Meer zurückgefunden hat, so wird auch Ben seinen Weg ins Leben finden. „Ben und die Wale“ erzählt nicht nur vom Abschiednehmen, sondern auch davon, wie Loslassen ein bisschen erwachsener machen kann. Die schraffierten Collagen von Irene Berg fangen dabei die melancholische und dabei doch positive Stimmung hervorragend ein.

Ich hab jetzt zwei Kinderzimmer

Acht ist am 8.8. um 8:08 Uhr geboren. Irgendwie kein Wunder, dass ein solches Kind – ob es ein Mädchen oder Junge ist, wird bewusst nicht deutlich – lustig ist und Spaß im Leben hat. Bis seine Eltern ihm eröffnen, dass sie auseinandergehen und nicht mehr gemeinsam unter einem Dach wohnen wollen.
Eine solche Trennung der Eltern ist für viele Kinder eine kaum zu bewältigende Herausforderung. Diese Kinder kennen die Phasen und die Phänomene, die das Buch von Veronique Puts anspricht: Die heile Welt zu Beginn, die dauernden Streits zwischen Papa und Mama, der Versuch der Vermittlung durch das Kind, die rechtlichen Folgen einer Scheidung, das Schuldempfinden des Kindes, seine Zerrissenheit nach der Trennung etc.
Es sind die Oma und der Opa, die Acht Sicherheit und Zuversicht geben. Bemerkenswert ist die Bildsprache des Buches, die mit ihren Collagen, der Farbgebung und dem Spiel mit der Typographie erheblich zur Wirkung des Buches beitragen, das sowohl einfühlsam als auch ermutigend daherkommt.

Überall Blumen

„Überall Blumen“ ist die Geschichte eines kleinen Mädchens, das mit seinem Vater auf dem gemeinsamem Heimweg durch eine überwiegend schwarz-weiße Stadt läuft. Der Vater hält das in einen roten Mantel gekleidete Mädchen an der Hand. Gemeinsam laufen sie durch die Stadt. Dabei schaut sich das Mädchen neugierig um, während der Vater meist telefoniert. Die ersten Bilder des Buches erwecken den Eindruck, dass jeder nur mit sich beschäftigt ist. Die Menschen wirken hektisch und nehmen ihre Umwelt nicht wahr. Das kleine Mädchen aber entdeckt den kleinen Löwenzahn am Laternenpfahl und die kleinen Blumen, die sich durch die Ritzen einer Mauer und zwischen den Pflastersteinen hindurch zwängen. Immer wieder bleibt das Kind stehen, um die Blumen zu pflücken und dann wieder an andere zu verschenken. Und schon bekommen die einzelnen Bilder ein wenig Farbe.
Das Buch ist anfangs in schwarz-weißen Zeichnungen gehalten, was die Hektik und die Unpersönlichkeit einer tristen Stadt unterstreicht. Nur das Mädchen hat einen roten Mantel an. Anfänglich sind außer dem Mädchen nur die Blumen farbig. Immer dann, wenn das Kind innehält und etwas betrachtet, oder die gepflückten Blumen weitergibt, wird das Bild bunter. Die verschenkten Blumen färben praktisch ab. Als Vater und Tochter nach Hause kommen, ist die Umwelt farbenfroh und der Eindruck von Geborgenheit und Wärme entsteht.
Die Geschichte „Überall Blumen“ schafft es, seine Botschaft ganz ohne Sprache auszudrücken – die Bilder sprechen für sich. Ein wunderschönes Bilderbuch, das sowohl Kinder als auch Erwachsene zum Nachdenken anregt und uns zeigt, wie wichtig und schön die kleinen unscheinbaren Dinge im Leben sind, und was kleine Gesten und ein wenig Achtsamkeit bewirken können.

Der rote Ballon

Zwei Schwestern haben einen wunderbaren, langen Samstag vor sich, den sie nach Herzenslust genießen wollen. Das jedenfalls beschließt die Größere der beiden, die die Kleinere mit ihrer Begeisterung ansteckt und mitreißt. An dieser Freude kann auch die Tatsache nichts ändern, dass es draußen in Strömen regnet. Blitzschnell wird geplant: Gummistiefel müssen her und ein Schirm. Doch als es auch noch stürmisch wird, ist der Schirm schnell hinüber. Den Mädchen macht das nichts aus und sie werden schließlich mit einem wunderschönen Regenbogen belohnt. Da hat die größere Schwester eine Idee: Sie möchte dem Regenbogen etwas Buntes schenken – und was könnte schöner sein, als der leuchtend rote Ballon ihrer kleinen Schwester? Doch die ist gar nicht begeistert, als sie ihren Ballon zwischen den Wolken davonfliegen sieht…
Liniers malt den abenteuerlichen Samstag in seinem ganz eigenen Stil und man hat eigentlich eher einen Comic vor sich als ein Bilderbuch. Panels und Sprechblasen tragen dazu bei, dass Bilderbuchbetrachter die Geschichte der beiden Mädchen fast ausschließlich im Dialog der beiden erleben. Besonders anrührend ist dabei, dass die kleine Schwester noch kaum sprechen kann und manche Äußerungen der Größeren anders interpretiert als sie gedacht sind. Ein grandioses Buch um kindliche Freiheit, Fantasie und das wunderbare Einvernehmen der beiden Mädchen, das Modellcharakter für viele Kinder hat. Fraglos ein Bilderbuch, das glücklich macht!

Mir nach!

„Mir nach!“ ruft Leon, der riesig und sehr wuschelig ist. Max und Henri gehen hinter ihm her und werden von Leon gewarnt, wenn sie aufpassen müssen. Das finden sie in Ordnung. Sie gehen Hand in Hand und Max erzählt wunderbare Geschichten.
Bis Max selbst einmal nach vorne will, um einen roten Luftballon richtig zu sehen. Nun ist er es, der vorne „Halt“ an den Ampeln ruft und sich ganz groß fühlt. Aber der kleine Hase Henri langweilt sich hinter Leons riesigen Rücken ohne die Geschichten von Max. Deshalb möchte er nun auch mal nach vorne. Dort fühlt auch er sich stark, bis ihn ein Lastwagen vollspritzt. Max nimmt tröstend seine Hand und erzählt ihm eine wunderbare Geschichte von einem nassen Ritter. Als Leon mitbekommt, welch schöne Geschichten Max erzählt, will er auch zuhören. So laufen sie nun zu dritt Hand in Hand nebeneinander her – bis sie schließlich bei einem Geburtstagsfest landen.
Die Orte und Landschaften, die die drei durchquert haben, zeigen, dass sie eine phantastische Reise um die halbe Welt gemacht haben, die wahrscheinlich etwas mit den Geschichten von Max zu tun hat. Drei Freunde nehmen sich gegenseitig überallhin mit und sind füreinander da. Die Bilder zeigen eine phantastische, abenteuerliche Welt und mittendrin die Freundschaft und Freundlichkeit, die Behutsamkeit und Achtsamkeit der drei Ungleichen. Eine Geschichte vom Wunder des Gernhabens – ein Genuss in phantastischen Bildern.

Das Mädchen von weit weg

„Es war Abend, als sie kam. Alle Sterne leuchteten, und der Schnee blinkte im Mondlicht.“ So märchenhaft beginnt diese Geschichte. Durch einen verschneiten Wald stapft ein kleines Mädchen auf ein Häuschen zu und bittet um Einlass.
Eine alte Frau, die Graue, unfreundlich, eigenbrötlerisch und lieber für sich allein, öffnet widerstrebend die Tür. „Warum bist du nicht zu Hause geblieben?“, fragt sie. „Weil ich allein war“, sagt das Mädchen. „Es gab niemanden mehr, der sich um mich kümmern konnte.“ „Ich kann mich auch nicht um dich kümmern“, sagt die Graue. „Ich weiß nicht, wie man sich um ein Kind kümmert. Und überhaupt will ich lieber allein sein.“
Aber dann erlaubt sie ihr doch, für eine Nacht zu bleiben. Und so macht sich das Mädchen am nächsten Morgen wieder auf den Weg.
Jetzt wendet sich die Geschichte, denn die Graue spürt, dass sie die Kleine vermisst. Den ganzen Tag folgt sie den Spuren des Mädchens. Erst in der Dämmerung findet sie es. Sie gehen zusammen zurück und hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Aber noch einmal wendet sich das Geschehen. In der Nacht träumt das Mädchen von seiner früheren Heimat, die Graue von einem Ort, an dem Kinder und Erwachsene zusammen lachen und spielen. Am nächsten Morgen machen beide sich voller Zuversicht gemeinsam auf den Weg.
Die vielen kleinen Bildszenen wirken lebendig-filmisch. Die düsteren Farben zu Beginn werden am Ende um freundliche Gelb- und Grüntöne ergänzt. „Das Mädchen von weit weg“ erzählt vielleicht von der Geschichte eines Flüchtlingskindes, oder schlicht vom Verlust des Zuhauses.

Kwik & Kwak

Wie wir das Leben bewerten, hängt von unserer Betrachtung ab. Gedanken, Überzeugungen und Bewertungen beeinflussen entscheidend unsere Fähigkeit, mit Herausforderungen und Krisen umzugehen.
Die beiden Frösche (möglicherweise eine Anlehnung an eine Fabel von Aesop) Kwak und Kwik verkörpern die optimistische und die pessimistische Grundeinstellung zum Leben: Kwik ist ängstlich und hat an allem etwas auszusetzen, Kwak sieht das Leben voller Abenteuer. Die Perspektiven der beiden Figuren sind im stetigen Wechsel kontrastiv gesetzt. Gemeinsam wagen sie eine abenteuerliche Bootsfahrt. Es geht einiges schief – doch der jeweilige Umgang mit diesen Situationen könnte unterschiedlicher nicht sein. Und Kwak hat am Schluss die Botschaft des Buches parat: „Gib niemals auf – egal was passiert!“.